Zeit zu üben

Immer wieder höre und sehe ich Klavierschüler, die sich genieren, weil sie mehr hätten üben können – so sagt es die Stimme in ihnen, ihre Eltern oder wer auch immer.
Mir ist es wichtig, dieses Missverständnis heute einmal auszuräumen.
Zunächst geht es darum, neue Nervenbahnen im Gehirn bauen zu lassen: Jede neue INFORMATION (oder Buchwissen), die behalten wird, verursacht eine Struktur im Gehirn. Was es letztes Jahr zu Weihnachten gab, ist uns entweder wichtig genug, dass wir es behalten, oder unwichtig genug dass wir es vergessen. Das Faktenwissen ist um so leichter, je mehr ähnliche Information schon vorhanden ist. So denkt der eine vielleicht Würstchen und Kartoffelsalat, und der andere Kalbswürstchen vom Bioschlachter aus der Region, die er für uns mit Kräutern hergestellt hat, dazu eine bestimmte Sorte Kartoffeln, eigens eingelegte Gürkchen und so weiter, je nach Wichtigkeit, und danach, was schon an kulinarischer Genauigkeit vorhanden ist.

Das KÖNNEN – und jetzt kommen wir auf den Klavierunterricht – kann nur durch Wiederholungen verbessert werden, man muss dem Gehirn also öfter sagen „das will ich“; Wahrscheinlich, weil dort Nervenbahnen zu den Fingern gelegt werden müssen, die sehr genaue Bewegungen ausführen sollen, das geht erst nur im groben (gucken sie mal einem Kind zu, das das Klavierspielen nachahmt: Die Bewegungen sind grob dieselben, der Klang ist deutlich anders), oder sehr langsam. Schneller wird man erst, wenn das Gehirn „Nervenautobahnen“ gebaut hat, und das dauert seine Zeit, und zusätzlich bricht das Hirn solche Großprojekte ab, wenn nicht genug Notwendigkeit besteht.
Andererseits sollte man die geplante Autobahn auch nicht ständig befahren, denn der Aufwand für fahren und gleichzeitiges Bauen ist deutlich größer.

Daraus ergeben sich Tipps und Tricks, wie die Klavierspielautobahn schnell(er) gebaut werden kann:

-Üben Sie, gerade am Anfang, LANGSAM und KURZE EINHEITEN, von ca 2-10min. 2 Std vor dem Klavierunterricht zu üben geht auch, ist aber deutlich weniger effektiv.
Dafür bitte SO OFT ES GEHT. 5x 2min mit Unterbrechungen sind effektiver als 10 min am Stück. Verteilen Sie das Üben auf den Tag und die Woche. (Die Baustelle will begutachtet und evtl berichtigt werden)
-Üben Sie wenn sie gerade Zeit haben: An der roten Ampel, in der Warteschlange, im Stau, usw. und dann MENTAL: Stellen Sie sich die Klaviatur und Ihre Hände so gut sie können vor. All Ihre Musik klingt gut die Bewegungen sind schön usw. Das überträgt sich auf das reale Klavierspielen. Probieren Sie es aus..
-KLEINE EINHEITEN bringen am meisten. Wenn sie in Takt 12 nicht weiterkommen, nützt es gar nichts, immer wieder in Takt 1 zu beginnen. Spielen Sie GENAU und LANGSAM Takt 12. Plötzlich beim spielen von vorne wird Takt 12 kein Problem sein…

Abschließend sei gesagt, dass das moderne Leben zuweilen eine hektische Angelegenheit sein kann und dass darum einmal „nicht-Üben“ vollkommen ok ist. Selbstverurteilungen sind eh Unsinn, so sind sie es hier auch.
Und um ein MEM aus dem Internet zu persiflieren:

Stay calm, stay kind to yourself and learn to play piano ?

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